Stressfaktor Praxistelefon

Telefonstress in der Arztpraxis geht auf Kosten von Zeit und Gesundheit

Stress durch Praxistelefon: Frau vor Laptop rauft sich die Haare, während vier Hände ihr Telefonhörer hinhalten

Das ständig klingelnde Praxistelefon ruft Stress hervor und ist vor allem eins: teuer. Und zwar trotz praktischer Flatrates. Die tatsächliche Rechnung zahlt vor allem das Praxispersonal – oft die MFA. medflex hat die Studienlage zu den Auswirkungen von Unterbrechungen und Multitasking durch das Dauerklingeln unter die Lupe genommen: Was das Praxistelefon von Arbeitszeitverlust über Fehleranfälligkeit bis hin zu krankheitsbedingten Ausfällen anrichten kann.

Was kostet das Praxistelefon?

Stellen wir uns eine engagierte MFA am Empfang einer Arztpraxis vor. Das Telefon klingelt. Nach einem 2-minütigen Gespräch kümmert sie sich eine Minute lang um das Anliegen des Anrufers, etwa indem sie einen Termin einträgt, ein Folgerezept beauftragt oder einen Vermerk in der Patientenkartei hinterlässt. Behält unsere vorbildliche MFA dieses überaus sportliche Tempo bei, kann sie pro Stunde also 20 Patientenanfragen bearbeiten.

Laut Ärztemonitor behandelt ein Hausarzt im Schnitt 52 Patient:innen pro Tag, ein Facharzt 38.1  Riefen ebenso viele Menschen jeden Tag in der Praxis an, würde das also rund 2 bis 3 Stunden Arbeitsaufwand bedeuten. Überschaubar, oder? Nicht ganz, denn in unserer Rechnung haben wir einige wichtige Faktoren noch nicht berücksichtigt.

Multitasking kostet Leistungsfähigkeit

In aller Regel ist das Praxistelefon bei weitem nicht die einzige Verantwortung von MFA. Und Patient:innen treten nicht nur per Telefon mit ihrer Arztpraxis in Kontakt, denn neben dem Telefon klingelt es zumindest während der Sprechzeiten auch an der Tür. Während unsere MFA die Praxisbesucher:innen in Empfang nimmt, ihre Daten aufnimmt, Fragen beantwortet, Folgetermine organisiert, Rezepte, Bescheinigungen und Überweisungen ausgibt, klingelt das Telefon munter weiter. 

Für unsere Rechnung bedeutet das, dass das Telefonaufkommen leider doch nicht in 3 Stunden abgefrühstückt ist und unsere MFA sich ihren zahlreichen anderen Aufgaben widmen kann. Zum Glück ist sie eine wahre Meisterin des Aufgabenjonglierens, für die auch längeres Multitasking nicht weiter problematisch ist. Aber auch das hält dem zweiten Blick leider nicht stand.

Studien zeigen, dass Multitasking die Leistungsfähigkeit des Gehirns um satte 20 bis 40 % reduziert.2 Das bedeutet, dass auch Menschen, die (vermeintlich) problemlos multitasken, deutlich weniger leistungsfähig sind, als wenn sie Aufgaben nacheinander bearbeiten würden – sie merken es möglicherweise nur nicht.

Illustration einer MFA mit 6 Armen

Multitasking

reduziert die Leistungsfähigkeit des Gehirns um 20 bis 40 %.

Unterbrechungen kosten Fokus und Konzentration

„Arbeitsunterbrechungen und Störungen zählen laut repräsentativer Befragungen zu den bedeutendsten psychischen Belastungen der heutigen Arbeitswelt“, so die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.3 Unter anderem beeinträchtigen Unterbrechungen die Konzentration, Leistungsfähigkeit und Produktivität. Wenn wir bei einer Aufgabe unterbrochen werden, kostet es uns laut Studien gut 15 % der Zeit, die wir für das Erledigen der Aufgabe benötigen, um uns wieder voll darauf zu fokussieren.4 Heißt: Die Arbeitszeit, die wir für eine Aufgabe aufwenden, steigt nicht nur um die Zeit der Unterbrechung selbst, sondern um weitere 15 % für jede Unterbrechung.

Immer wieder umschalten und sich neu fokussieren zu müssen, geht außerdem zu Lasten der Konzentration: ein weiterer Faktor, der auf Dauer einiges an Arbeitszeit und damit natürlich Geld kostet. Nicht zuletzt steigt auch die Fehleranfälligkeit: In einer Studie der Michigan State University führte eine Unterbrechung von nicht einmal 3 Sekunden zu einer doppelt so hohen Fehlerquote.2 Das ist in jedem Bereich ärgerlich und kostet wiederum ein Mehr an Zeit. Gerade im medizinischen Bereich können Fehler aber weitaus gravierendere Folgen haben als “nur” Zeitverlust. Ganz zu schweigen davon, dass sie bei unserer MFA den Übeltäter schlechthin auslöst, was sowohl wirtschaftliche als auch gesundheitliche Kosten betrifft: Stress.

Stress: Von Unzufriedenheit bis zu Ausfällen

Dauerndes Telefonklingeln ist zunächst einmal ganz einfach: Lärm. Klar, es gehört nun mal zum Praxisalltag dazu. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass es sich negativ auf die Gesundheit derer auswirken kann, die ihm tagein, tagaus ausgesetzt sind. Schon moderater Lärm erhöht nachweislich das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, erhöhtem Blutdruck und weiteren Stressreaktionen. Menschen, die bei ihrer Arbeit häufig Stress empfinden, haben außerdem häufiger mit Gefühlen von Erschöpfung, Kontrollverlust und der Angst, zu wenig geschafft zu haben, zu kämpfen.4,5

Illustration eines gebeugt gehenden Mannes, daneben eine leere BatterieÜber einen längeren Zeitraum kann der Preis hierfür sehr hoch werden. So kann eine hohe Stressbelastung das Risiko einer psychischen Erkrankung auf das Dreifache erhöhen6 Insgesamt stiegen die Arbeitsausfälle aufgrund psychischer Probleme in deutschen Unternehmen zwischen 2000 und 2019 um ganze 137 Prozent und waren damit bereits vor der Pandemie die häufigsten Gründe für Krankschreibungen. 7 Auch für das vorzeitige Ausscheiden aus dem Berufsleben sind psychische Erkrankungen laut Deutscher Rentenversicherung die Ursache Nummer 1. 8

Besonders problematisch: Lärm beeinflusst uns noch stärker, wenn wir bereits einen gewissen Stresspegel erreicht haben und er uns bei etwas unterbricht. Wenn unsere MFA schon die ein oder andere Arbeitsstunde hinter sich hat, in der sie versucht hat, ungeduldige Patient:innen zu besänftigen und sich um mehrere Dinge gleichzeitig zu kümmern, wird das Dauerklingeln also zu einem noch größeren Stressfaktor als ohnehin schon.

Natürlich ist ein ständig klingelndes Telefon weder der einzige noch unbedingt der größte Stressauslöser und führt auch nicht zwingend zu psychischen Erkrankungen und Arbeitsausfällen – sonst wäre es wahrscheinlich schon weitgehend abgeschafft. Nichtsdestotrotz ist ein Arbeitsumfeld, das von ständigem Telefonklingeln geprägt ist, nicht zu unterschätzen – besonders, wenn die Mitarbeitenden noch zahlreiche andere Aufgaben zu erledigen haben und das Telefon für Unterbrechungen sorgt. Was können Sie also tun, um die Situation zu verbessern?

 

Entlastung schaffen beim Stressfaktor Praxistelefon

Viele Arztpraxen sind nur eine begrenzte Anzahl an Stunden per Telefon erreichbar, damit andere MFA-Arbeiten, etwa Labor-, Assistenz- oder Verwaltungsaufgaben, auch ihren Platz finden. Ein sinnvoller Ansatz: Studien haben gezeigt, dass schon eine Stunde ununterbrochenen Arbeitens am Tag zu einem niedrigeren Cortisolspiegel und einer besseren Gedächtnisleistung führt.4 Dass es außerdem effizienter und weniger fehleranfällig ist, wissen wir ebenfalls bereits. Es lohnt sich also aus vielerlei Gründen, das Telefon so weit wie möglich zu entlasten:

  • Unterbrechungen und Multitasking kosten Fokus und Konzentration und damit wertvolle Arbeitszeit.
  • Dauerhafter Stress erhöht das Risiko krankheitsbedingter Arbeitsausfälle.
  • Gestresste Patient:innen, die nach mehreren Anrufversuchen endlich durchkommen, kosten zusätzlich Zeit und Nerven.
  • No-Shows, weil Patient:innen die Praxis telefonisch nicht erreicht haben, um abzusagen, verursachen zusätzlichen Arbeitsaufwand.

Eine Arztpraxis komplett ohne Telefon und Multitasking ist kaum vorstellbar. Gar nicht schwierig ist es aber, einige hilfreiche Schritte in die richtige Richtung zu machen:

Unsere Tipps gegen Stress am Praxistelefon

  • Richten Sie, wo immer möglich, Fokuszeiten ein. Wie wäre es zum Beispiel, die Sprechzeiten zur telefonfreien Zeit zu machen? So kann sich Ihre Fachkraft am Empfang ganz den Patient:innen vor Ort widmen und sowohl Ihr Team als auch Ihre Patient:innen finden eine wesentlich angenehmere und weniger stressauslösende Geräuschkulisse vor.
  • Bieten Sie Ihren Patient:innen alternative Kontaktmöglichkeiten an. Ein Messenger etwa macht alle Beteiligten deutlich flexibler. Patient:innen sind nicht an Telefonzeiten gebunden und verschwenden keine Zeit in Warteschleifen, was nicht nur die Patientenzufriedenheit erhöht, sondern auch die Zahl der No-Shows verringert. Sie und Ihr Team wiederum können sich ein festes Zeitfenster für die Anfragen nehmen und sie gesammelt bearbeiten – idealerweise ganz ohne Unterbrechungen durch ein klingelndes Telefon.

Schon mit einigen kleinen Änderungen können Sie das Telefon entlasten und den Arbeitsalltag Ihres Teams deutlich stressfreier gestalten. Das zahlt nicht nur auf die Zufriedenheit Ihrer Mitarbeitenden ein, sondern auch auf ihre Gesundheit und die Effizienz der Arbeitsabläufe. Das ist doch eine erfreuliche Rechnung.

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Rosa Schwartz
Rosa, Jahrgang 1982, ist seit Juli 2022 Content Marketing Managerin bei medflex. Die Sprach- und Literaturwissenschaftlerin interessiert sich vor allem für die Themen New Work und Digitalisierungsprozesse.

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