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Work-Life-Balance und die eigene Arztpraxis
Interview über Tipps & Tücken der ärztlichen Selbstständigkeit
Ein Viertel der Ärzt:innen überlegt, den Beruf hinzuwerfen*, denn: Work-Life-Balance? Fehlanzeige. Das Problem kennt auch Dr. Jungwirth: „Ich habe geglaubt, ich könne keinen Urlaub machen.“ Warum tappen gerade Ärzt:innen so leicht in die Falle „Überarbeitung“ und was führt da heraus? Dr. Jungwirth hat zu einer guten Work-Life-Balance gefunden. Im Interview spricht er über die Rolle von Motivation und Arbeitsklima sowie Wege, den Workload im Zaum zu halten – vor allem bei der Doppelbelastung einer eigenen Praxis.
Dr. Walther Jungwirth
Dr. Walther Jungwirth begann seine Karriere zunächst in der Herzchirurgie und wechselte dann in die plastische Chirurgie – seinerzeit ein Pionierfeld in Österreich und Deutschland. Nach einem humanitären Interplast-Einsatz für afghanische Kriegsverletzte in Peshawar gründete er 1991 seine eigene Praxis in Salzburg. Er bildete in seiner Abteilung an der EMCO Privatklinik 9 junge Plastische Chirurg:innen aus und fungierte 2012-2014 als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische Chirurgie.
So sind wir auf Dr. Jungwirth gekommen: Sein Youtube-Video über Work-Life-Balance≫
Du denkst: ‚Desto mehr ich arbeite, desto besser geht es mir und meinen Patienten' – das stimmt nicht.
— Dr. Walther Jungwirth, Praxisinhaber
Dr. Jungwirth, Sie führen seit 30 Jahren erfolgreich Ihre eigene Praxis, betreiben einen aufwändigen YouTube-Kanal und waren Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische Chirurgie. Mit Sprechstunden, OP-Terminen und all den weiteren Aufgaben dürfte Ihr Alltag gut durchgetaktet sein. Und doch trifft man Sie regelmäßig mit dem Mountainbike in den Salzburger Hausbergen.
Sie machen sich für eine bessere Work-Life-Balance im Arztberuf stark. Warum eigentlich?
Das Thema Work-Life-Balance ist wichtig für Ärzte, und oft läuft es ja falsch. Ich war selber einer, der es falsch gemacht hat früher. Ursprünglich in der Klinik hatte ich einmal insgesamt 10 Wochen Urlaub angesammelt. Die musste ich verfallen lassen, weil ich meine Stelle gewechselt habe von der Herzchirurgie in die plastische Chirurgie. Ich habe immer geglaubt, ich könne keinen Urlaub machen – damals war das so. Doch da kam ich ins Überlegen, was falsch lief und was ich für mich ändern will. Jetzt ist die Generation Y, die Arbeitswelt ändert sich sehr, auch für die Ärzte. Aber auch für die Vorgängergeneration ist die Balance wichtig.
Was ist die Gefahr, wenn die Work-Life-Balance zu kurz kommt?
Viele gleichaltrige Ärzte (ich bin jetzt 63), mit denen ich gemeinsam die Ausbildung gemacht habe und die in der Klinik geblieben sind, haben schon vor Jahren aufgehört zu arbeiten. Eben weil da die Work-Life-Balance zu kurz kam und sie ausgelaugt worden sind. Doch auch in der Niederlassung kenne ich Kollegen, die einen Burnout bekommen haben. Also Klinik an sich macht nicht unglücklich und Praxis an sich macht auch nicht glücklich.
Eine gute Work-Life-Balance ist wichtig, um nicht in ein Hamsterrad zu kommen. Diese Balance zu finden – ein Leben lang – ist sehr schwierig.
Was führt gerade Ärzt:innen so schnell in die Stress- oder Burnout-Falle?
In der Medizin glaubst du ja schnell, je mehr du arbeitest, desto mehr tust du Gutes. Die Arzt-Patienten-Beziehung ist natürlich eine, die uns Ärzte sehr motiviert, und da denkt man schnell: Noch mehr wäre besser, denn dann habe ich mehr geholfen – mal ganz abgesehen vom Finanziellen. Doch der Gedanke, desto mehr ich arbeite, desto besser geht es mir und meinen Patienten, der stimmt nicht.
Sie haben in der Klinik gearbeitet, in der Herzchirurgie und der ästhetischen Chirurgie, und kennen ebenso die Selbstständigkeit.
Welche neuen Herausforderungen für die Work-Life-Balance als Arzt kommen mit der eigenen Praxis hinzu?
Einerseits kann man sich seine Zeit freier einteilen. Andererseits hat man in der Praxis eine größere finanzielle Last und ist dadurch unter Stress. Als ich vor 30 Jahren gegründet habe, war mein Fach noch ein totales Randgebiet. In der ersten Woche hat kein einziger Patient angerufen. Das war ein Risiko. Es ist nicht so, dass man startet und alles läuft. Niemand fängt eine Praxis an und ist gleich im Plus.
Man gibt viel Geld aus und gleichzeitig gründet man oft eine Familie, kauft ein Haus – da kommt einiges zusammen. Und, je nach Fachgebiet, ist die Patientenakquise ein wesentlicher Teil. Das ist eine große Aufgabe, der man sich in der Klinik nicht stellen muss.
Mit der Praxis kommen also neue Aufgaben und Belastungen hinzu.
Was hilft, dass es mit der Work-Life-Balance trotzdem klappt?
In der Praxis bist du dein eigener Motivator – du und natürlich deine Patienten. Die Arbeitsbedingungen schaffst du dir selbst. Du kannst dir die Zeit besser einteilen – und du sollst sie dir auch einteilen. Die Work-Life-Balance ist wichtig, um motiviert zu bleiben. Die Arbeit soll ja Freude machen, idealerweise ein Leben lang.
Ein häufiger Fehler ist, zu groß zu beginnen: zu viele Mitarbeiter, zu hohe Schulden, zu hohe Fixkosten.
All das musst du erst einmal bezahlen und das machst du nicht, wenn du im Urlaub bist. Man muss auch an später denken. Ein Kollege, der eine große Klinik aufgebaut hat, hat mir mal gesagt, er könne nicht aufhören, weil ihm niemand seine Klinik abkauft – und das mit weit über 70. Und zusperren? Dann ist dein Lebenswerk aus und vorbei, das will man ja auch nicht.
Damit die Work-Life-Balance funktioniert, auch über Jahre und Jahrzehnte, ist eine möglichst schlanke Praxis besser. Mit finanzieller Unabhängigkeit wird es auch leichter, dir das einzuteilen. Ich kann zum Beispiel nicht am Stück 3 Wochen weg, aber ich kann mir kürzere Zeitspannen gut einteilen und versuche, einmal im Monat ein paar Tag weg zu sein – ein Urlaub, ein Kongress, eine Bergtour oder eine Segel-Regatta. Das bedeutet für mich Lebensqualität.
Ein Gedanke, der besonders zu Beginn der eigenen Praxis wichtig ist und mir geholfen hat: „Mit jedem zufriedenen Patienten bzw. jeder Patientin wirst du stärker.“
Welche Rolle spielt das Arbeitsklima bei der Motivation und Zufriedenheit im Arztberuf?
An den Arbeitsbedingungen lässt sich nicht immer etwas machen, aber das Arbeitsklima schaffen wir uns selber. Als Chef kommt einem da eine ganz wichtige Rolle zu.
Ein toller Chef reißt die ganze Gruppe mit, ein mühsamer Chef wird alle demotiviert hinterlassen.
Das habe ich auch selbst erlebt. In der Klinik gibt es immer Ärzte, zu denen die Schwestern nicht gern hingehen, wenn etwas ist. Aber ich muss ja auch mit denen arbeiten, die mir zuarbeiten – das ist eine Teamarbeit. Deshalb ist es wichtig, ein Umfeld zu schaffen, das dein Team motiviert, sodass alle gern mit dir arbeiten. Wertschätzung ist wichtig.
Und unter Ärzten herrscht manchmal eine Konkurrenzatmosphäre, vor allem an der Uniklinik. Da geht es darum, dich zu profilieren. Dabei ist das die Zeit, ein gutes Verhältnis zu den Kollegen aufzubauen, ein Netzwerk. Es ist wichtig, ein gutes Miteinander zu haben und dass man sich gegenseitig hilft.
Wie schaffen Sie ausreichend (Frei-)Zeit?
Das Wichtigste ist, selbst möglichst wenig bürokratische Arbeit zu leisten. Es gibt Ärzte, die am liebsten alles selber machen oder jeden Tag kontrollieren, und da verzettelt man sich leicht. Mein Tag ist relativ definiert mit Sprechstunden, OP-Zeiten, dann muss ich noch den OP-Bericht diktieren und danach bin ich eigentlich fertig. Schenke deinen Mitarbeitern Vertrauen und gib ihnen Verantwortung, sodass du außerhalb deiner medizinischen Tätigkeit möglichst wenig zu tun hast. Wenn man arbeitet, dann sollte man sehr effizient arbeiten und nicht zu viel administrativen Hintergrund aufbauen.
Was hilft konkret, den Workload als Arzt zu erleichtern?
Die digitale Technik macht vieles einfacher. Früher sind die Ärzte ein Wochenende lang gesessen und haben Abrechnung gemacht. Jetzt ist das digital und wesentlich effizienter.
Es ist auch viel praktischer, mit den Patienten digital zu kommunizieren, z.B. wenn ein Patient unsicher ist, ob eine Schwellung eine Nachblutung ist. Dann sagt man, bitte schicken Sie mir mal ein Foto und dann kann ich innerhalb von ein paar Minuten sagen, das ist normal und geht zurück. Früher ist dann jemand in die Praxis gekommen und wenn die zu war, musste er ins Spital.
Also die Nachsorge ist viel, viel einfacher geworden durch das Digitale. Das hat natürlich wesentlich die Lebensqualität der Ärzte verbessert.
Auf der anderen Seite habe ich als Arzt im Hintergrund immer Dienst. Das Handy bleibt immer an, schon seit Jahrzehnten. Dafür kannst du aber deine Patienten wesentlich besser betreuen und sparst dabei letztlich Zeit, zum Beispiel bei der Nachsorge.
Digitale Medien sind auch in der Information sehr wichtig. Ich betreibe einen YouTube-Kanal. Der läuft jetzt seit über einem Jahr und sehr erfolgreich, weil man da mehr erklären kann. Dadurch sind für mich die Erstinformationen leichter geworden. Früher musste ich viel mehr ins Detail gehen, heute sind die Patienten viel besser vorinformiert. Es ist schon ein Aufwand und du musst dazu sprechen wollen und können, aber dann ist es ein sehr gutes Mittel auch für die Patientengewinnung.
Was würden Sie Ihrem 30-jährigen Ich rückblickend gern raten?
Erstens: In der Klinik mehr das Miteinander betonen.
Rückblickend würde ich mir selbst raten, Karriere in der Klinik ein bissl entspannter zu sehen und mehr das Miteinander betonen. Das ist wichtig für ein positives Arbeitsklima und um sein kollegiales Netzwerk aufzubauen.
Zweitens: Praxis schlank halten – gerade zu Beginn.
Lieber Schritt für Schritt wachsen und nicht zu groß werden, dass man nicht einen zu riesigen Rucksack mit sich herumschleppt. Man muss auch damit rechnen, dass man sich mal zurückfahren muss – weil man sich einen Fuß bricht oder so –, ohne dass dann alles den Bach heruntergeht.
Drittens: Bürokratischen Aufwand so gering wie möglich halten.
Die digitale Technik macht vieles deutlich einfacher, wie die Abrechnung oder die Kommunikation mit den Patienten. Nutzen Sie das und schenken Sie Ihren Mitarbeitern Verantwortung und Vertrauen.
Und viertens: Freizeit bewusst gestalten.
Sich Hobbys suchen, Zeit für die Familie nehmen und Sachen, die einem Freude machen, außerhalb des Berufs. Aus meiner Sicht: Gute Ärzte sind nicht gute Ärzte, wenn sie nur Medizin im Kopf haben.
Digitale Kommunikation für bessere Work-Life-Balance
- Patientenanfragen digital in einem strukturierten & filterbaren Eingang erhalten
- Anfragen abseits vom Telefon bearbeiten, wann Sie wollen, im asynchronen Chat
- Hochauflösender Bildversand, z. B. um Auffälligkeiten vor Terminvergabe besser abschätzen zu können
- Befunde, Arztbriefe und mehr schneller digital anfragen & versenden
- Interner Team-Chat für noch bessere Zusammenarbeit von überall
- Zertifizierte Videosprechstunde spart Weg- und Rüstzeiten
- Intuitive Anwendung, die Praxisteams und Patient:innen begeistert – mit Smartphone-App
- Lesedauer: 7 min
Dr. Walther Jungwirth
Dr. Walther Jungwirth begann seine Karriere zunächst in der Herzchirurgie und wechselte dann in die plastische Chirurgie – seinerzeit ein Pionierfeld in Österreich und Deutschland. Nach einem humanitären Interplast-Einsatz für afghanische Kriegsverletzte in Peshawar gründete er 1991 seine eigene Praxis in Salzburg. Er bildete in seiner Abteilung an der EMCO Privatklinik 9 junge Plastische Chirurg:innen aus und fungierte 2012-2014 als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Plastische Chirurgie.