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- Lesedauer: 7 min
New Work in der Medizin
„Die Leute wollen Veränderung“
New Work, also eine Neugestaltung von Arbeitsformen und -organisation, ist seit einigen Jahren in aller Munde. Viele denken hierbei sofort an junge Internet-Start-ups. Aber kann auch der medizinische Bereich von den neuen Ansätzen profitieren und einen besseren Arbeitsalltag schaffen? Wir haben eine Spezialistin gefragt: Vera Starker forscht und berät seit Jahren zu New Work und hat 2022 das Buch New Work in der Medizin veröffentlicht.
Vera Starker
Wirtschaftspsychologin, MBA in systemischer Organisationsentwicklung, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht und Gründerin des Berliner Think Tanks Next Work Innovation Garage, der zu New Work berät und forscht.
Was ist eigentlich New Work?
Der Begriff New Work dürfte den meisten Menschen schon begegnet sein. Aber was meint er eigentlich genau? „Interessanterweise wissen nicht nur in der Medizin viele nicht, was New Work eigentlich ist,“ erklärt Vera Starker. „Und man muss auch dazusagen, dass es kein trennscharfer Begriff ist. Aber es gibt eine dahinterliegende Haltung. Der Kern des Ganzen ist, zu dem zurückzukommen, was Arbeit idealerweise ist, nämlich etwas, das wir gerne tun, das wir gestalten können, woran wir teilhaben, worin wir Sinn entdecken und wo wir Kompetenz erleben. Wenn man sich aber beispielsweise den ärztlichen Beruf anschaut, sind locker 30 bis 40 % der Tätigkeit Bürokratie – das ist keine Arbeit, die man wirklich will, sondern sogar weit davon entfernt.“
Das Idealbild von sinnhafter Arbeit, die man selbst gestalten kann und die man gerne macht, dürfte nicht nur bei Angehörigen der Gesundheitsberufe einen Nerv treffen – genauso wie die Feststellung, dass es mit der Realität in weiten Teilen nicht allzu viel gemein hat. Teilhabe und Gestaltungsfreiräume sind für einen Großteil des medizinischen Personals kaum gegeben. Sinn und Freude an der Arbeit werden allzu oft verdrängt von Zeitmangel, Stress und Bürokratie.
Nur weil das System rigide ist, muss ich nicht schlecht mit Menschen umgehen.
— Vera Starker
Die Kluft zwischen Realität und Ideal ist also beachtlich, ihre Überbrückung ein Vorhaben, an dem schon viele verzweifelt sind. Die Frage, die sich aufdrängt und die auch die Autor:innen von New Work in der Medizin immer wieder aufwerfen:
Ist nicht das Gesundheitssystem an sich das Problem, weil es zwischen Vorschriften und Ökonomisierung einfach kaum Änderungen zum Positiven erlaubt?
„Es gibt den systemischen Aspekt und die tägliche Interaktion, das sind zwei Bereiche“, erläutert Vera Starker. „Der zweite – und das ist das eigentliche New-Work-Modell – ist, dass wir einen Einfluss darauf haben, wie wir interagieren. Hart gesagt: Nur weil das System rigide ist, muss ich nicht schlecht mit Menschen umgehen. Um z.B. die Berufehierarchie über Bord zu werfen, also den Glauben, dass es ‚bessere‘ und ‚schlechtere‘ Berufe gibt, oder um interprofessionell zu arbeiten, braucht man keinen Systemwechsel. Das beweisen diejenigen Stationen, in denen echte interprofessionelle Teamarbeit gelebt wird. Natürlich gibt es die Limitierung: Selbst wenn wir unsere Interaktion zum Positiven verändern, können wir damit nicht die bestehenden Systemfehler egalisieren. Aber wir können einen deutlich besseren Alltag schaffen.“
Zusammen mit Mona Frommelt, Ärztin und Vorstandsvorsitzende der Hans-Weinberger-Akademie der AWO e. V. und Geschäftsführerin der Fachakademie für Sozialpädagogik in München und Oberbayern gGmbH, sowie David-Ruben Thies, ausgebildeter Krankenpfleger und Geschäftsführer der mehrfach ausgezeichneten Waldkliniken Eisenberg in Thüringen, veröffentlichte Vera Starker im März 2022 das Buch New Work in der Medizin. Wie uns die Utopie gelingen kann, das im Rossberg Verlag erschien.
New Work in der Praxis: Positivbeispiele zum Vorbild nehmen
Ein deutlich besserer Arbeitsalltag für medizinische Fachkräfte klingt doch nach einer vielversprechenden Perspektive – doch wahrscheinlich fragen Sie sich, wo man ansetzen kann, um eine solche Verbesserung Realität werden zu lassen.
Mit einer einfachen Schritt-für-Schritt-Anleitung zum garantierten Gelingen kann leider auch Vera Starker nicht dienen: „Wir können hier nicht mit Schablonen arbeiten. Aber wir können mit der Haltung arbeiten, dass es uns wichtig ist, wie es Ärzten und Ärztinnen geht, wie sie mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern interagieren. Dass die Leute bekräftigt werden, selbständig Aufgaben zu übernehmen.
„Ein Ansinnen des Buches war es, immer wieder gute Beispiele zu benennen und zu zeigen, dass wir nicht über eine Theorie sprechen, sondern dass all das vielerorts schon funktioniert. Wenn man sich Praxen anschaut, in denen es reibungslos läuft, in denen gute Stimmung herrscht und es keine langen Wartezeiten gibt, wird man schon ganz viel New Work entdecken. Und man wird mit Sicherheit sehen, dass die Menschen, die dort arbeiten, sehr kompetent und sehr gut ausgebildet sind, dass sie mitgestalten und mitentscheiden dürfen, dass sie ihre eigenen Entscheidungsfreiräume haben, sich nicht alles absegnen lassen müssen. Wenn man das noch schlau kombiniert mit Digitalisierung und selbstbestimmter Arbeitsflexibilisierung – auch das kann man mittlerweile digital lösen, gerade in größeren Praxen –, dann sind wir schon ziemlich nah dran.“
Vera Starker
Sie möchten erste Schritte zu einem neuen, verbesserten und effizienteren Arbeitsalltag in Ihrer Praxis gehen? Fangen Sie an, indem Sie sich im Team folgende Fragen stellen:
- Was sollten wir in unserer täglichen Zusammenarbeit ändern, um an mindestens drei von fünf Tagen Freude an unserer Arbeit zu haben?
- Wie müssten wir unsere Arbeit gestalten und wie müssten wir miteinander umgehen, damit wir unsere Arbeit wirklich gerne tun?
- Welche Ziele sollten wir uns für die Verbesserung unseres gemeinsamen Alltags setzen? Wie kann der Weg dorthin aussehen?
- Wer sind die Protagonist:innen, die diesen Weg gehen müssen, damit es funktioniert?
- Welche Hebel stehen uns zur Verfügung, um unsere Ziele zu erreichen und einen besseren Arbeitsalltag zu schaffen?
- Welche (digitalen) Lösungen gibt es bereits, z. B. um störungsfreier zu arbeiten, also unnötige Unterbrechungen zu reduzieren?
TV-Tipp
Leuten zutrauen, Lösungen zu finden
Vera Starker ist es stets wichtig, zu verdeutlichen, dass es trotz aller struktureller Herausforderungen und Limitationen doch einige Stellschrauben gibt, an denen Kliniken und Praxen drehen können, um den Arbeitsalltag zu erleichtern:
„Neben einer Entbürokratisierung ist zum Beispiel auch das Thema ‚Fragmentierung‘, also bei der Arbeit ständig unterbrochen zu werden, ein großer Aspekt mit einigem Potenzial für Entlastungen. Wenn man diese Sachen über Digitalisierung, gepaart mit verbesserten Arbeitsabläufen, anders lösen würde – und es gibt ja immer mehr Lösungen, die wirklich Erleichterung schaffen – könnte man schon sehr viel verändern.“
Die Stelle, an der es hakt, sei also weniger die Ideenfindung als deren Umsetzung. Schließlich, fasst Vera Starker zusammen: „Ein Arzt ist Arzt geworden, weil er Arzt sein möchte und nicht, weil er eine Praxis digitalisieren will.“ Es gelte also, nach praktischen Lösungen zu suchen, die den Arbeitsalltag wirklich und unmittelbar erleichtern, und die Ärzteschaft praktisch zu unterstützen.
In der Pandemie ist viel gelungen, weil man die Menschen hat machen lassen.
— Vera Starker
„Tatsächlich hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass es funktioniert und dass wir diese Lösungen finden können. Auch wenn zu Recht viel gemeckert wurde, muss man einfach auch sagen: Es ist ziemlich viel gelungen. Weil man die Menschen hat machen lassen. Da sind wir wieder recht nah an New Work: Menschen nicht einzuengen über Vorschriften, sondern ihnen das Zutrauen zu geben, dass sie Lösungen finden können.“
Der erste Schritt ist der wichtigste
Manch eine:r wird bei all den großen und kleinen Herausforderungen vor lauter Bäumen den Wald kaum noch sehen. Anderen mag der Ansporn fehlen, weil sie schon so oft mit Ideen zu positiven Veränderungen auf taube Ohren gestoßen und gescheitert sind. Dessen ist sich auch Vera Starker bewusst, warnt aber vor einer Veränderungs- und Bürokratiemüdigkeit: „Ich weiß, dass viele Menschen im Gesundheitswesen schon lange für ein besseres System kämpfen, das kann man gar nicht genug würdigen. Aber die Digitalisierung bietet jetzt Möglichkeiten, die es vor 10 oder auch vor 5 Jahren eben noch nicht gab. Es gilt, ins Machen zu kommen, die Möglichkeiten zu nutzen. Anzufangen, zu denken, sich zu fragen: Wie kann das gehen? Was brauchen wir dafür? Wie können wir erste Schritte gehen? Und vor allem schlaue Kooperationen zu gründen, damit nicht jeder einzeln kämpfen muss.“
Perspektivwechsel: Veränderung positiv erzählen
Haben Sie sich bereits bei dem Gedanken „Das geht ja aber gar nicht, weil…“ ertappt? Damit sind Sie nicht allein. Und genau das ist ein großes Problem, welches positiven Veränderungen im Weg steht. „Wir sind in Deutschland wahnsinnig gut darin, Fehler zu analysieren, Defizit- und Gap-Analysen zu machen. Allein damit kommen wir aber nicht weiter. Wir müssen unter Würdigung des Gelernten viel mehr Energie auf die Zielbildung verwenden. Ich glaube, Leute sind so lange nicht gefragt worden, was sie eigentlich wollen, dass sie diese Frage gar nicht gut beantworten können. Eine Kernhaltung von New Work ist das Menschenbild, das dahintersteckt: Davon auszugehen, dass mir ein kompetenter Mensch mit einer Vorstellung gegenübersteht, die ich hören möchte, weil sie Relevanz hat. Wir müssen die Menschen, die es betrifft, fragen, wie es sein sollte.“
Mögliche Fragen, die Sie Ihrem Team stellen können:
- Was sind die optimalen Bedingungen für eine Arztpraxis wie unsere?
- Was braucht eine Praxis, um (noch) reibungsloser laufen zu können?
- Wie würde die Arbeit (mehr) Spaß machen?
- Wie würde die Zusammenarbeit optimal funktionieren?
- Wie soll ein Tag aussehen? Wie ein Monat?
Tatsächlich ist das Entwerfen positiver Zustände als Ziel mindestens eine eher seltene Praxis. Im Gesundheitswesen wie der Politik herrschen Diskussionen um steigende Kosten und Mängel an allen Stellen vor: Allein durch das negative Vokabular wie Kostenexplosion, Notstand etc. schalte unser Gehirn automatisch auf „Notfallmodus“, erklärt Vera Starker. Genau hier wollen sie und ihre Co-Autor:innen einen Paradigmenwechsel anregen: Es gelte, das Positive wieder zu gestalten, das echte Zufriedenheit ermöglicht. „Die Zeit, in der wir leben, ist die Zeit der Gestaltung,“ so Vera Starker. „Und ich möchte immer dazu aufrufen, junge wie alteigesessene Leute einzuladen, mitzugestalten. Laden Sie sie ein in einen Dialog über Medizin – von früher, von heute, von morgen. Es gibt so viele schlaue Menschen da draußen. Und den Ziel-Zustand muss man gemeinsam und auch generationsübergreifend bauen.“
„Wir müssen die Intelligenz der Menschen nutzen, indem wir sie einbeziehen.“
Wie bereits erwähnt, können und müssen die konkreten Details des Soll-Zustandes von Praxis zu Praxis und von Klinik zu Klinik variieren. Dennoch findet Vera Starker abschließend ein Fazit, welches das eine übergeordnete Ziel auf den Punkt bringt: „Wir müssen den Ärzten, Ärztinnen und medizinischem Personal das Leben leichter machen. Und es sind eine flexible, selbstbestimmte Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die Digitalisierung, die das können.“
Einfach, zeitsparend, digital:
Mit medflex entlasten Sie Ihr Telefon und ermöglichen Ihrem Team einen störungsfreieren, besser planbaren Arbeitsalltag. Kommunizieren Sie unkompliziert mit allen Beteiligten und halten Sie Ihr Team wie auch Ihre Patient:innen immer auf dem aktuellen Stand.
- Arztalltag
Vera Starker
Wirtschaftspsychologin, MBA in systemischer Organisationsentwicklung, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht und Gründerin des Berliner Think Tanks Next Work Innovation Garage, der zu New Work berät und forscht.