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Aggressive Patient:innen

Wie Sie als Ärzt:in oder MFA damit umgehen

Aggressive Patient:innen belasten das Personal in Arztpraxen. Wie häufig Rettungskräfte mit Beschimpfungen und Tätlichkeiten zu tun haben, ist eine traurige, wenngleich bekannte Tatsache. Doch nun beklagen auch Arztpraxen zunehmend aggressives Verhalten, z.B. in Verbindung mit der Vergabe von Impfterminen. Wie können Praxismitarbeiter:innen Eskalationen verhindern und wie können Ärzt:innen und Praxisinhaber Ihre MFA dabei unterstützen? Wir haben nachgefragt bei Anna Schatz, Expertin und Trainerin für gesunde Kommunikation.

Anna Schatz

Anna Schatz

… ist geschäftsführende Gesellschafterin der HealthCareComm, einem der führenden Anbieter für Schulungen und Coachings zur besseren Kommunikation im Gesundheitswesen.

Frau Schatz, Sie sind durch Ihre Arbeit ganz nah an den Arztpraxen dran. Wie nehmen Sie das Problem zunehmend aggressiver Patient:innen wahr?

Wir erhalten vermehrt Anfragen zum Erlernen von Skills zur Deeskalation. Also was mache ich, wenn eine Situation aus dem Ruder läuft? Wie kann ich mich schützen oder solche Situationen eventuell verhindern? In vielen Kliniken gehört die Ausbildung in Deeskalation bereits zum Alltag. In Arztpraxen, Apotheken und stationären Einrichtungen bisher nicht. Das müssen wir nun nachholen.

Wie weit geht aggressives Verhalten seitens der Patient:innen?

Da erlebe ich teils heftige Situationen. Arzthelferinnen werden beschimpft, angeschrien, bedroht. Wartende in den Praxen fangen Streit untereinander an und die MFA müssen schlichten. Und dann gibt es da auch Patienten, die Ärzten und MFA Umschläge mit Geld zustecken für einen Impftermin. Auch damit ist es schwer umzugehen.

Zum Umgang mit Stress in der Arztpraxis haben Sie fünf Tipps gegeben, wie Ärzt:innen ihre MFA konkret unterstützen können. Es ging um eine gute Feedback-Kultur, Empowerment, Team-Rituale und Wertschätzung. Was ist konkret nach einer schwierigen Situation wichtig?

Schauen Sie mehrmals am Tag bei Ihren Mitarbeitern vorbei. Besprechen Sie Geschehnisse gemeinsam. Überlegen Sie, was gut gelaufen ist oder wie sie eine Eskalation eventuell hätten vorhersehen können. Und fragen Sie vor allem nach, was Ihre Angestellten brauchen, um sich jetzt wieder gut zu fühlen. Verpassen Sie diesen Augenblick nicht. 

Alle fünf Tipps im Detail finden Sie in unserem Beitrag zum Thema Stress in der Arztpraxis reduzieren.

 

Wenn ein Patient Impfstoff möchte, aber keiner da ist, herrscht nun ein Konflikt, für den es keine einfache Lösung gibt. Wie verhindere ich, dass er zum Problem wird?

Auf der einen Seite gibt es klare Kommunikationsstrategien, die Mitarbeiter erlernen können. Ganz wichtig, gerade bei der Impfthematik: Der Patient befindet sich auch in einer Ausnahmetsituation. Da ist Fingerspitzengefühl gefragt.

Es gilt auch, die Prozessorganisation zu hinterfragen. Wie werden Termine vergeben, wie gut funktionieren Ihr Zeitmanagement und die Kommunikation? Reibungslose Abläufe sorgen dafür, dass sich Patienten in der Praxis wohlfühlen. Sie werden weniger schnell ungeduldig und ihre Selbstbeherrschung wird nicht so strapaziert. 

Apropos strapazierte Selbstbeherrschung: Wann eskaliert denn ein Gespräch?

Zu Beginn stehen oft aggressionsauslösende Reize, z.B. lange Wartezeiten, deprimierende Nachrichtensender auf dem TV im Wartezimmer, schlechte Luft oder andere wütende Wartende. Die Patienten sind also schon mit negativen Reizen überflutet.

In der Eskalationsphase spielt dann die sogenannte „strukturelle Gewalt“ eine große Rolle. Das sind eher rhetorische Dinge, die Mitarbeitern passieren, weil sie keine Handlungsalternativen kennen. Sie versuchen sich durchzusetzen und eröffnen so unbewusst einen Kampf. Dazu gehört eine zu dominante Körpersprache oder auch die Wendung „Sie müssen…“ – die weckt innerlich Gegenwehr. 

Was wären denn Handlungsalternativen?

Besser als „Sie müssen“ sind Ich-Botschaften: „Ich bitte Sie, kurz Platz zu nehmen“. Mancher braucht außerdem eine Begründung. Warum muss er warten, wie lange noch? Hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. 

Was raten Sie Ärzt:innen und Arzthelferinnen bzw. -helfern, um Eskalationen zu verhindern?

  1. Deeskalation zu trainieren und das mit unbeteiligten Trainern, die den Umgang mit Eskalation wirklich erlernt haben. 

  2. Reflektieren Sie die Situationen im Team: Hat es beim Patienten Erkennungszeichen gegeben, bei denen wir hätten intervenieren können? Wo hätten wir uns gegenseitig unterstützen können?

  3. Reduzieren Sie auslösende Reize. Oft sind es Kleinigkeiten, die erst auffallen, wenn Sie mit den Augen eines Patienten durch die Praxis gehen. Rufen Sie auch einfach mal selbst in Ihrer Praxis an und vereinbaren Sie einen Termin. So finden Sie Stellschrauben, an denen Sie drehen können, damit sich Patienten wohlfühlen.

  4. Sehen Sie sich andere Praxen an und holen Sie sich neue Impulse. Hier kommt die Vernetzung ins Spiel, bei der unter Ärzten noch Luft nach oben ist. MFA sind leider in der Regel gar nicht vernetzt, dabei wäre das so hilfreich.

Reibungslose Abläufe sorgen dafür, dass sich Patienten in der Praxis wohlfühlen

Zu den auslösenden Reizen gehört unter anderem Unsicherheit seitens der Patienten. Welche Rolle spielt eine aktive Informationskultur dabei, Spannungen zu minimieren?

Patienten sind in den letzten Jahren generell informationshungriger geworden. Das Bedürfnis muss gestillt werden, ohne Informationen zu emotionalisieren. Dafür sind digitale Kanäle ideal. Gibt es also die Möglichkeit, Terminanfragen per Messenger zu stellen, dann sprechen Sie es eine Zeit lang bei jedem Patienten an. Schauen wir uns das Beispiel der Impfung an, können Sie viele Informationen digital bereitstellen, z.B. Studien über die Impfstoffe oder Fakten über die Krankheit. Geben Sie Ihr Wissen nicht erst preis, wenn Sie ausdrücklich darum gebeten werden. Das wird Ihnen viel Zeit sparen und Ihre Expertise deutlich herausstellen.

Eine Praxis wendet sich mit der Sorge um übergriffige Patienten an Sie. Was erwartet die Klienten?

Im Erstgespräch finden wir heraus, was gerade am wichtigsten ist. Dann entwickeln wir ein Konzept für die jeweilige Praxis, also die Persönlichkeiten im Team, den Standort und ihre Klientel. Die Inhaber oder leitenden Ärzte werden dabei immer integriert. Wir achten darauf, dass das Personal schnell Erfolge erlebt und coachen oft auch direkt on-the-job. 

Und während der Pandemie?

All unsere Trainings führen wir als Blended-Learning-Spezialisten auch digital durch.

Regina Phalange
Regina Phalange
Seit Anfang 2021 geht die Content Spezialistin für medflex auf die Pirsch nach spannenden Themen aus den Bereichen eHealth und Telemedizin. Ihr Schwerpunkt liegt auf den praktischen Einsatzmöglichkeiten und der Implementierung neuer Technologien in der Praxis.

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Anna Schatz

Anna Schatz

… ist geschäftsführende Gesellschafterin der HealthCareComm, einem der führenden Anbieter für Schulungen und Coachings zur besseren Kommunikation im Gesundheitswesen.