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Psychotherapeut berichtet

Das bedeutet die 30%-Grenze bei Videosprechstunden in der Psychotherapie

Mancherorts beschleicht einen fast das Gefühl, die Pandemie sei vorbei. Masken sind aus dem Alltag vieler schon verschwunden – kein Bedarf mehr. Wird es der Videosprechstunde in der Psychotherapie genauso ergehen? Psychologe Werner Wondra hofft nein. Im Interview zieht er ein ehrliches Fazit zur Videotherapie und warum Psychotherapeut:innen bei deren Einsatz wieder mehr Freiheit bekommen sollten.

Junge Frau am Schreibtisch vor dem Bildschirm in Videosprechstunde mit Ärztin
 Werner Wondra

Werner Wondra

Der Diplompsychologe ist als psychologischer Psychotherapeut mit Praxis in Lübeck tätig.

Corona kam und legte das Leben lahm. Doch die Videosprechstunde startete durch. 2020 verdreifachte sich die Nutzung von Videosprechstunden vom 2. auf das 3. Quartal fast. Es musste ja sein. Jetzt muss es nicht mehr zwingend sein. Werden Videosprechstunden in der Psychotherapie jetzt zum Auslaufmodell? Seit April 2022 sind sie schon nicht mehr zu 100 % abrechenbar. Für Werner Wondra, der als psychologischer Psychotherapeut in Lübeck praktiziert, kam das völlig überraschend und stellte ihn vor ein großes Problem. Aber fangen wir am Anfang an.

Herr Wondra, wann und warum haben Sie mit Videosprechstunden begonnen?

„Mit Videositzungen habe ich während Corona angefangen. Das war dann auch gleich sehr intensiv. Über ein Jahr habe ich nur online therapiert und gar keine Stunden in der Praxis abgehalten.“

Und jetzt?

„Jetzt sieht es schon wieder anders aus, wir können die Videositzungen ja nicht mehr so frei einsetzen, was vielfach problematisch ist. Ich habe zum Beispiel während der Pandemie den Praxissitz gewechselt von Berlin nach Lübeck. Als man Therapien noch zu 100 % per Video durchführen durfte, konnte ich meine Patienten nach dem Umzug weiter betreuen. Rund ein Drittel von ihnen habe ich weitergeführt, ein Großteil davon Langzeitpatienten.

Mit den Beschränkungen im April 2022 war das auf einmal vorbei. Das war wirklich eine Katastrophe. Nicht nur für mich finanziell, auch für die Patienten.

Wir haben erst wenige Tage vor Quartalsbeginn von der Neuregelung erfahren. Da blieb keine Zeit zu reagieren. Viele Therapien mussten abgebrochen werden. Das war formal ein Eingriff in die Therapie – das war nicht die Absicht der Kassen und der KV, die dies beschlossen haben, aber eben die Folge davon.“

Nun ist Ihre Situation sicher speziell, aber kein Einzelfall, zumal ja auch Patient:innen mal umziehen. Was haben die Einschränkungen für die Betroffenen konkret bedeutet?

„Einen Therapieabbruch. In der Realität ist ein Therapeutenwechsel meist gar nicht möglich. Das Stundenkontingent ist schon angebrochen, sodass es für andere Therapeuten schwierig ist einzusteigen. Man hat nicht mehr so viele Stunden übrig, kennt den Patienten aber noch gar nicht. Seit die Videositzungen wieder flexibler abrechenbar sind, behandele ich einige meiner Patienten selbst weiter. Die haben in der Zwischenzeit einfach niemand Neuen gefunden, der sie weiter betreut. Wer soll das machen bei Wartezeiten von einem halben Jahr?“

Welche Rahmenbedingungen würden Sie sich wünschen?

„Es wäre wünschenswert, dass wir die Videositzungen weiterhin flexibel handhaben können bis 100%. Vielleicht gibt es da Bedenken, dass sich Anbieter auf rein digitale Therapien spezialisieren und das Ganze sehr anonym wird. Der Wunsch das zu verhindern wäre verständlich, aber es müsste auf andere Weise geschehen. Andererseits ist Corona ja nicht vorbei. Und auch sonst gibt es gute Gründe auf Video auszuweichen.

Es ist schon so, dass Video ein Ersatz ist, aber ein guter.

In der Pandemie zum Beispiel hat einfach die körperliche Sicherheit Priorität. Meine Kollegin behandelt vor allem Krebspatientinnen. Für deren Sicherheit ist die Videotherapie enorm wichtig. Aber auch sonst: Ich habe hier in Lübeck Patienten, die regelmäßig anderthalb Stunden fahren müssen. Und dann stehen sie mal im Stau. Oder sind in Quarantäne. Oder ich bin in Quarantäne.

Dann ist es einfach gut, dass man sagen kann: „Komm, heute machen wir Video.“

Natürlich therapiere ich auch gern in der Praxis, aber es ist sinnvoll, dass es die Wahlmöglichkeit für die Patienten gibt.“

Die Videotherapie hat praktische Vorzüge, soviel ist klar. Aber ist sie auch therapeutisch genauso effektiv wie die persönliche Sitzung – was ist Ihre Erfahrung?

„Als ich mit Videositzungen angefangen habe, war ich erstaunt wie intensiv Gespräche sein können in der Zweierkonferenz – nicht nur per Video, auch per Telefon. Teilweise sogar intensiver als in der Praxis. Das hätte ich mir vorher nicht so vorgestellt. Es ist eine ganz andere Form. Man fokussiert sich ganz anders auf das, was man erlebt. Wenn es zum Beispiel über imaginative Verfahren geht, dann ist die Fokussierung oft noch intensiver. Das funktioniert wirklich sehr gut.“

 

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Wann wird es für Sie Zeit, die Person mal wieder live zu sehen oder gibt es vielleicht sogar Personenkreise, bei denen das Video-Setting überhaupt nicht funktioniert?

„Es ist eher so, dass manche Patienten sich sehr wünschen, mal wieder in die Praxis zu kommen. Vielen ist der persönliche Kontakt schon sehr wichtig. Jüngeren oft weniger, die kommen auch mit der Technik bestens zurecht. Für Ältere und schwierigere Problemfälle war es ganz gut, die Therapie wieder in Präsenz durchzuführen.

Dass es bei bestimmten Gruppen gar nicht geht, würde ich jetzt nicht sagen. Ich habe auch Kinder über Video betreut. Die kannte ich schon recht gut und dann ging das sogar bei ADHS-Kindern. Die sind ja oft sehr technik-affin. Zwischendurch waren sie mal kurz nicht zu sehen. Oder sie haben nebenbei etwas ganz anderes am Computer gemacht und dies dann mit mir geteilt. Das ist einfach eine andere Form mit anderen Möglichkeiten. Natürlich ist es mit Kindern schon schwieriger – andererseits ist es ja auch schwieriger, mit Kindern in Corona-Zeiten zusammenzukommen und den nötigen Abstand einzuhalten.

Es ist einfach eine Frage der Beziehung und welche Risiken man in Kauf nimmt.“

Ein häufig genanntes Problem beim Einsatz von Telemedizin sind schwächelnde Internetverbindungen. Vor allem im mobilen Netz ist die Verbindung oft instabil oder reißt ab. Wie gehen Sie mit Störungen um?

„Ich thematisiere die Störung nicht sehr und nehme sie zum Anlass, wie man von einem Problem zu einer Lösung kommen kann. Wenn die Verbindung insgesamt schlecht ist, greife ich auch schonmal zum Telefon, sodass der Ton über Telefon geht und das Bild über Video. Insgesamt wäre es natürlich schon wahnsinnig gut, wenn die Internetverbindungen hier in Deutschland stabiler wären.“

Ein wichtiger Bestandteil Ihrer Arbeit als Psychotherapeut sind Intervisionen. Eignet sich das Video-Setting auch für diesen Zweck?

„Ich mache alle zwei Monate Intervisionen per Video. Bei Corona war es sowieso eine gute Alternative und auch jetzt, weil meine Kolleginnen und Kollegen aus der Intervisionsgruppe in Berlin sitzen. Das ist praktischer als ein Zugticket abends. Doch bei Intervisionen ist Video für mich persönlich eher eine Notlösung.“

 

Fazit

Ob für den Infektionsschutz, um zu verhindern, dass Sitzungen aus logistischen Gründen ausfallen oder um Therapien auch nach einem Umzug fortzuführen, die Videosprechstunde bietet weiterhin viele Vorteile für die Psychotherapie. Wir danken Werner Wondra für seine spannende Perspektive auf die virtuelle Psychotherapie!

Übrigens nutzt Herr Wondra die medflex Videosprechstunden.
Was ist seine Erfahrung?

„Meine Patienten können sich bei medflex einen eigenen Zugang anlegen mit eigenem Passwort. Das erleichtert mir die Planung der Videositzungen ungemein, da ich nicht für jede Sitzung Einladungen versenden muss. Und beim Kundenservice bekommt man immer schnell eine Antwort und sie sind sehr hilfsbereit.“ – Werner Wondra

Regina Phalange
Regina Phalange
Seit Anfang 2021 geht die Content Spezialistin für medflex auf die Pirsch nach spannenden Themen aus den Bereichen eHealth und Telemedizin. Ihr Schwerpunkt liegt auf den praktischen Einsatzmöglichkeiten und der Implementierung neuer Technologien in der Praxis.

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 Werner Wondra

Werner Wondra

Der Diplompsychologe ist als psychologischer Psychotherapeut mit Praxis in Lübeck tätig.